Das Thema Gendern (was unintuitiverweise die geschlechterneutrale Sprache meint) hat schon einiges an Diskussionen im deutschsprachigen Raum ausgelöst, und wurde wie so ziemlich jedes andere Thema, das nur ansatzweise etwas mit dem Culture-War zu tun hat, zu Tode politisiert. Dabei wird im öffentlichen Diskurs nahezu ausschließlich auf geschlechterneutrale Personenbezeichnungen, und wie und ob diese gekennzeichnet werden sollten, eingegangen. Sprich, wenn Leute über das Gendern reden oder etwas davon hören, geht es in 99 von 100 Fällen um solche Geschichten wie Freund*in, Student*in und Ärzt*in. Was das Gendern von Berufen und das Gendersternchen etc. pp. angeht, will ich mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen (ich persönlich gendere aus schierer Gewohnheit nicht und finde die Sternchenschreibweise eher hässlich, finde Gendern allgemein aber völlig in Ordnung, soll's hat jeder machen wie man will) und auf dieser Seite auch gar nicht weiter eingehen.
Was aber bei der Diskussion komplett untergeht, teilweise selbst bei diversen Personen, sind Pronomen. Ich kenne eine Menge Leute aus dem englischsprachigen Internet, die entweder nicht-binär oder anderweitig geschlechterneutral unterwegs sind und für sich selbst they anstelle von he und she als Pronomen verwenden, und auch sonst wird im Englischen gut und gerne they verwendet, um über Personen zu reden, deren Geschlecht entweder unbekannt oder unerheblich ist. Wie also spreche ich über meine nicht-binären Freunde oder generell über mir unbekannte Personen im Deutschen, ohne jemanden ungewollt zu beleidigen oder voreilige Schlüsse ziehen zu müssen? Was ist das deutsche Pendant zum englischen singularischen they?
Zu diesem Zweck stelle ich das Pronomen sier vor, was eine Mischung aus er und sie darstellt:
Männlich | Weiblich | Weder noch | |
---|---|---|---|
Nominativ | er | sie | sier |
Genitiv | sein | ihr | siehrn |
Dativ | ihm | ihr | ihrm |
Akkusativ | ihn | sie | siehn |
Diese Idee ist nicht neu und habe ich auch nicht selbst ausgedacht. Andere Vorschläge für sier sehen häufig z.B. Rechtschreibvarianten (sir, sien und sihr statt sier, siehn und siehrn) oder vereinfachte Formen vor (sier, sies, siem, sien). Trotzdem denke ich, dass sie die intuitivste Option für ein geschlechterneutrales Pronomen darstellt und viel mehr Aufmerksamkeit verdient hat, da es nicht nur schon auf den ersten oder zweiten Blick offensichtlich ist, was es meint, sondern auch ohne Sonderzeichen und untypischen Buchstaben auskommt und aus sprachpuristischer Sicht am wenigsten am herkömmlichen Pronominalsystem "kaputtmacht", für den Fall, dass das einem wichtig ist.
So kann man nun z.B. über sein:e Freund:in sagen, dass sier gerade nicht zu Hause ist und siehrne Schlüssel vergessen hat, die man ihrm zurückgeben will wenn man sien sieht, oder was auch immer.
Wenn man schon dabei ist, könnte man sich auch überlegen, ob es etwa der, die oder das Freund:in heißt, und parallel zu sier geschlechterneutrale Artikel und Relativpronomen über eine Mischung aus der und die konstruieren:
Männlich | Weiblich | Weder noch | |
---|---|---|---|
Nominativ | der | die | dier |
Genitiv | des / dessen | der / deren | ders / dersen |
Dativ | dem | der | derm |
Akkusativ | den | die | dien |
Dann ist es nicht mehr irgendein:e vergessliche:r Freund:in, sondern dier Freund:in, dersen Schlüssel man zurückgeben will, etc.
Ich habe tatsächlich keine großen Hoffnungen, dass die Mehrheit der Bevölkerung sier ohne weiteres akzeptiert, oder dass die Sprachpuristen nicht doch irgendwas zu bemängeln hätten, an dem sie die Verhunzung der deutschen Sprache anprangern könnten, und anfangs war es mir als nicht nicht-binäre Person ("nicht nicht-binär" ist echt 'ne komische Wortfolge...) eher unangenehm, diversen Menschen vermeintlich irgendein Pronomen "vorschreiben" zu wollen. Bis es aber zu einem gemeinsamen Konsens darüber kommt, wie man ein singularisches they ins Deutsche übersetzt oder über nicht-binäre Personen redet, bleibe ich bei fürs Erste beim sier, auch wenn ich mich ehrlich gesagt selbst noch daran gewöhnen muss.